Der Tag der Enteignung
Am Tag der Enteignung durch die Nazis

Die Günthersmühle in der Nazizeit

Die Enttäuschung
Kaum hatte der Reichspräsident von Hindenburg die politische Macht an Hitler übergeben, begann auch schon die Unterdrückung der Organisationen der Arbeiter- und Sportbewegung. Der Zusammenhalt innerhalb der Offenbacher Naturfreunde blieb jedoch ungebrochen. Man trotzte den Nazis wo es ging. Doch dann kam für alle völlig unerwartet wie ein kalter Schlag eine herbe Enttäuschung auf die Offenbacher zu. Ein Jahr zuvor trat ein älterer Frankfurter Naturfreund, den alle »Vater Fix« nannten, in unsere Offenbacher Gruppe ein. Das neue Mitglied gab sich als ruhiger Vertreter aus und nahm auch nie an den Diskussionen über die neue Zeit teil. Wenn andere Wanderungen unternahmen, blieb er auf der Mühle, um aufzupassen, wie er sagte. So auch an diesem Tag. Der Ortsgruppenvorsitzende und ehrenamtliche Hauswart Willy Buckpesch wanderte mit den anwesende Gästen nach Bad Orb und wieder zurück. Am späten Nachmittag trafen sie wieder im Haus ein.

Vater Fix« saß ruhig auf einem Stuhl vor der Mühle. Wie immer. Aber zum Schrecken aller Rückkehrer präsentierte er sich mit einem großen, unübersehbarem Parteiabzeichen der Nazipartei auf seiner Jacke. Der Schock saß tief. Keiner sprach mit Fix ein Wort. Er wurde gemieden wie die Pest und war ab sofort ein einsamer, ausgegrenzter Mann. Das blieb auch so, als die Nazis ihn zum Herbergsvater im beschlagnahmten Spessarthaus ernannten. Selbst die Kasseler Bevölkerung, in der Regel katholisch, die anfangs den linken Naturfreunden sehr skeptisch gegenüberstand, wollte nichts von ihm wissen, zumal die Mehrheit sich mit zunehmender Zeit von den Nazis distanzierte und in den verfolgten Naturfreunden eine Art von Schicksalsgenossen erkannten.

Die Rettung eines Verfolgten
Hitler ernannte sehr bald seine SA (Sturmabteilung) zur Hilfspolizei. Sie erhielt Polizeigewalt und durfte Schusswaffen tragen. An einem Abend bemerkten einige Gäste LKW- Lichter auf der gegenüberliegende Vilbacher Straße. Äußerst seltsam. Die Erklärung ließ nicht lange auf sich warten, denn einige Minuten später umzingelte ein Trupp der SA die Günthersmühle. Das Hauspersonal und alle Gäste mussten antreten und ihre Ausweise vorzeigen. Es befand sich allerdings kein von der Geheimen Staatspolizei gesuchter darunter. Die SA rückte unverrichteter Dinge wieder ab.

Nun begab es sich aber, dass einige Zeit später der Naturfreund Herbert Franke aus seiner Heimatstadt Niederwürschnitz im Erzgebirge fliehen musste, da die Nazis ihn als Mitglied einer Widerstandsgruppe suchten. Über seinen Freund Karl Schneider, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Offenbacher Naturfreunde, hatte er bereits früher Kontakt nach Offenbach. In der Günthersmühle nahmen die Offenbacher ihn auf. Hier fühlte er sich sicher. Bei einer erneuten SA-Kontrolle könne er sich ja, so nahmen alle an, vorher im Wald verstecken. Doch es kam anders. Wieder wurden LKW-Lichter auf der Chaussee erkannt. Doch zu spät. Die SA stand bereits in der Tür. Die Hausgäste mussten wiederum im Flur antreten. Willy Buckpesch stellte in der Küche seine Frau Hanna vor und den dort anwesenden Herbert Franke mit einer etwas abwertend erscheinenden Geste: »Des is nur unsern Hausborsch«. Aus der Sicht des SA-Führers konnte offensichtlich keine Gefahr von einem einfachen Hausburschen ausgehen. Er verlangte keinen Ausweis und stellte keine weiteren Fragen. Herbert verzog sich in das daneben liegende Hauswartszimmer. Nach Kontrolle der anderen Hausgäste zog die SA wieder ab. Alle atmeten auf: Herbert war gerettet.

Die Beschlagnahme
Durch Verfügung des Staatskommissars für das Polizeiwesen in Hessen wurde die Ortsgruppe Offenbach am Main am 3. Juni 1933 aufgelöst. Die neuen Machthaber beschlagnahmten die beiden Häuser Spessarthaus und Günthersmühle am 5. Juli 1933. Die Günthersmühle erfreute sich zu dieser Zeit eines starken Zuspruchs. Sie war voll belegt. An einer langen Tafel vor der Mühle saßen alle beim Mittagessen, Hausdienst wie Gäste, da erschien auf dem Fahrrad der Gendarmerie-Wachtmeister Schmidt aus Wirtheim. Die Offenbacher kannten ihn. Verschämt erklärte er Willy Buckpesch er müsse die Günthersmühle beschlagnahmen. Schmidt, dem jeder ansah, dass er diese Aufgabe nur widerwillig erfüllte, kam auf Anordnung des beauftragten Landesliquidators für den Kreis Offenbach, Eduard Horst aus Steinheim.

Mit der Beschlagnahme der Naturfreundehäuser musste nach den Erfahrungen der vergangenen Monate gerechnet werden. So schwer es auch fiel, alle blieben ruhig. Willy reichte dem Wachtmeister Schmidt einen Fotoapparat und bat ihn noch ein letztes Bild des Hauses mit der ganzen Mittagsrunde zu machen. Schmidt tat es gerne. Er konnte damit wenigstens den Beraubten noch einen Wunsch erfüllen.

von Walter Buckpesch (Sohn von Willy Buckpesch)